Wein ist eine lebendige Lösung, ein natürliches Labor, in dem Zucker in Alkohol umgewandelt wird, Säuren sich ausgleichen, Aromen sich entwickeln und Farben reifen. Jedes Glas ist eine Lektion in sensorischer Chemie.
In Wein ist Ethanol nach Wasser die am häufigsten vorkommende Substanz. Alles beginnt mit der alkoholischen Gärung, einem mikroskopischen Tanz zwischen Zucker und Hefen (Saccharomyces cerevisiae).
Die Gleichung für diese Magie lautet: C6 H12 O6 →2 C2 H5 OH+2 CO2
Die Hefen wandeln den Zucker in Alkohol, genauer gesagt in Ethanol und Kohlendioxid, um und setzen dabei organische Säuren, Restzucker, Polyphenole, Aminosäuren und Aromamoleküle frei. Dieser kleine Anteil ist für die Struktur, Farbe, Stabilität und das sensorische Profil jedes Weins verantwortlich und erklärt, warum jede Flasche ein einzigartiges System darstellt.
Nach der alkoholischen Gärung kommen Milchsäurebakterien (Oenococcus oeni) ins Spiel, die die Apfelsäure in Milchsäure umwandeln, die runder und weicher ist. Das Ergebnis ist ein angenehmerer Wein mit Noten von Butter oder Sahne aufgrund des Vorhandenseins von Diacetyl.
Polyphenole sind die Künstler des Weins. Sie kommen vor allem in den Schalen, Kernen und Eichenholz vor und bestimmen die Farbe, die Adstringenz und das Lagerpotenzial.
Anthocyane sind Pigmente, die für die rote Farbe verantwortlich sind, die je nach pH-Wert variiert. Bei niedrigem pH-Wert entstehen leuchtende Rottöne, bei hohem pH-Wert hingegen Blautöne.
Tannine hingegen sind phenolische Polymere, die sich mit den Proteinen im Speichel verbinden und ein Gefühl von Trockenheit oder Adstringenz hervorrufen. Während der Reifung polymerisieren sie und werden weicher und runder.
Das Bouquet des Weins entsteht aus Hunderten von flüchtigen Verbindungen, die sich mit der Zeit entwickeln. In Eichenfässern wird die Chemie zum Parfüm, Lignin und Hemicellulose werden durch die Hitze des Röstens abgebaut und setzen Vanillin (Vanillearoma) und Furfural (geröstete Mandeln) frei.
Wein ist nicht nur Kultur, sondern auch sensorische Chemie. Die Gärung wandelt Zucker in Alkohol um, die malolaktische Gärung verwandelt aggressive Säure in Weichheit, Polyphenole färben, strukturieren und schützen, und Aromen entstehen, entwickeln sich und verändern sich mit dem Alter. Jede Flasche enthält die Arbeit von Millionen von Molekülen in perfekter Harmonie. Die Wissenschaft erklärt den Prozess, der Genuss beginnt, wenn wir trinken.